Geheimnisvolles Cerespoly

Nach dem großen Sterben – Teil 1 & 2

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Geheimnisvolles Cerespoly

Geheimnisvolles Cerespoly

Reinhard Baer

Ich setzte den Feldstecher ab und kratzte mich am stoppeligen Kinn, an diesem schönen Tage des Herrn, dem 6. Mai im Jahre 4 nach dem Crash, nach dem großen Sterben.
Tatsächlich! Da war eine Siedlung in etwa zwei km Entfernung abseits des State Highway 79. Ich sah eine mächtige ‚Mauer‘, zusammengezimmert aus Blechen und Brettern. Ein vom Highway abzweigender Feldweg führte direkt darauf zu und wurde an der Befestigungsanlage von einem Tor geschluckt. Links und rechts des Tores überragte je einen Wachturm die Mauer noch um etwa zwei Meter. Mit leichtem Druck des Stiefelabsatzes in die rechte Flanke zeigte ich meiner Stute den Richtungswechsel an und verließ, dem staubigen Feldweg folgend, den Highway von Wichita Falls nach Archer City. Das angebundene Tragtier mit meiner gesamten Ausrüstung und meinen Tauschgütern trottete uns nach.
Und damit machte ich meinen ersten Fehler an diesem Tag!
Eigentlich war ich auf dem Weg nach Südwesten. Dort sollte es etwas weniger von den „Donalds“ geben, den Untoten. „Donalds“ hatte sie wohl in den ersten Tagen nach dem großen Sterben einer der Überlebenden, ein Witzbold offenbar, getauft und der Begriff hatte sich rasend schnell durchgesetzt. ‚Donald‘ weil sie ja körperlich noch da waren, aber nicht besonders helle. Eine Hommage an unseren auch leicht verblödeten 45ten und letzten Präsidenten, der bei seiner Evakuierung aus dem Weißen Haus auf dem Hubschrauberflug zur ‚Airforce One‘ abstürzte und seitdem – falls ihn keiner erlöst hatte - vielleicht auch noch unterwegs war, jetzt eben als wahrer „Donald“ dem nun wirklich niemand mehr seine Blödheit übelnahm.
Das große Sterben lag jetzt knapp vier Jahre zurück. Die Lage hatte sich zwischenzeitlich etwas entspannt. Von den etwa 2/3 der Bevölkerung die damals starben und sich unweigerlich in ‚Donalds‘ verwandelten, waren viele inzwischen durch einen Stich oder Schuss in den Kopf, oder was immer von ihrer fauligen Rübe noch übrig war, erlöst worden. Der Rest streifte rastlos durchs Land auf der Suche nach neuen Opfern. Die verbliebenen Menschen hatten aber gelernt damit umzugehen und die Todesrate aufgrund der ‚Donalds‘ war deutlich zurückgegangen. Es war für die ‚Donalds‘ auch nicht mehr so leicht, menschliche Leckerbissen überhaupt zu finden, denn die Bevölkerungsdichte, in vielen US-Bundesstaaten eh nicht sehr hoch, hatte ja noch einmal drastisch abgenommen.
Dafür waren sich die Menschen vielfach selbst zum Feind geworden. Die Zeit des Sammelns und Plünderns ging, mangels Vorräten, langsam zu Ende. Wer nicht lernte, eigene Lebensmittel zu erzeugen oder Waren herzustellen, geriet verstärkt ins Hintertreffen. Entweder musste er dann sterben, seinen Körper verkaufen oder sich mit Gewalt nehmen, was andere erarbeitet hatten. Dem letztgenannten Geschäftsmodell hingen leider eine ganze Reihe übler Banden von Outlaws an, ohne zu begreifen, dass mit jeder ausgelöschten Siedlung, jeder niedergebrannten Farm, auch ihre Lebensgrundlage immer schmaler wurde.
Unschön verhielt es sich auch bei der Befriedigung niederer Triebe. Die Endzeit bestand auch aus jeder Menge sadistisch oder sexuell motivierter Gewalt. Menschen starben aus den nichtigsten Anlässen und viele Männer nahmen sich einfach, was sie meinten zu brauchen und viele Frauen ergaben sich in stoischer Gelassenheit ihrem Schicksal, wohl wissend, dass sie ihm nicht entrinnen konnten. Das unter Umständen auch Frauen zu wilden Perversionen fähig wären, würde ich bald schmerzhaft zur Kenntnis nehmen müssen.
Es wird sich merkwürdig anhören, aber die Apokalypse hatte mich längst nicht so tief getroffen wie andere. Ich war schon vorher entwurzelt gewesen, hatte manchen Fehler gemacht ….
Für mich bot das große Sterben die Chance zum Neuanfang. Das große Sterben war für mich zum großen ‚Reset‘ geworden. Ich konnte mich neu erfinden und ich redete mir dabei auch noch ein, besser zu sein als viele andere. Bei den geschilderten Grenzüberschreitungen hatte bisher nie mitgemacht. Nicht dass ich ein Problem mit Gewalt hätte. Es wäre ein Witz, dass zu behaupten, bei meiner Vita. Aber manche Dinge waren selbst für mich eine Stilfrage.
Aber war ich so viel besser? Konnte ich auf andere herabblicken, nur weil ich bisher keine physische Gewalt angewendet hatte und stattdessen meine wirtschaftlich bessere Situation ausnutzte um mal eine Pflaume vor‘s Rohr zu bekommen? War ich viel besser gewesen als die dreckigen Outlaws, als ich einem Zuhälter mal eine Sexklavin abgekauft hatte und mich damit rechtfertigte, dass sie es bei mir viel besser hätte? O.k., immerhin habe ich sie einfach freigelassen, nachdem sie mir langweilig wurde. Die Grenzen zwischen Recht und Unrecht, zwischen Gut und Böse waren verdammt fließend in einer Gesellschaft im Endstadium.
Meine bisher erfolgreiche Überlebensstrategie basierte darauf, dass ich erstens niemandem traute und zweitens niemandem traute! Außerdem basierte sie auf Mobilität, Handel und guter Bewaffnung.

Die Siedlung am State Highway 79

Als ich mich der Siedlung näherte, sah ich weit vor der Schutzmauer der Siedlung noch einen Ring kleinerer Unterstände, die einen Saum von Feldern und Gemüsegärten absicherte, der sich rund um die Siedlung erstreckte. Auf einigen Feldern waren Kinder und Frauen mit Erntearbeiten beschäftigt. Der Wachgängerin des nächstgelegenen Unterstandes ließ mich wortlos passieren. Ein einzelner Reiter erschien nicht als Gefahr.
Wenig später stand ich vor dem Tor. Auf dem Turm links eine Frau, auf dem rechten ein halbwüchsiger Junge, vielleicht 14 Jahre alt, beide in Khaki-Hemden, ein Gewehr im Anschlag.
„Was willst Du?“ rief die Frau harsch.
„Ich wünsche auch einen guten Tag! - Geschäfte machen, tauschen“, war meine Antwort, „ich habe Penicillin, Rasierklingen, Munition für eure Sturmgewehre…“
„Brauchen wir nicht…“, die Antwort kam bevor ich weiter aufzählen konnte.
Plötzlich tauchte eine zweite Frau auf dem Turm auf. „Moment, Penicillin, können wir gut gebrauchen… wir haben kaum noch welches…“, sagte sie zur Ersten und beobachtete mich dabei aufmerksam. Ihre Augen taxierten dabei genauestens meine Bewaffnung, meine im Holster am Sattel steckende Winchester, das auf dem Rücken getragene Scharfschützengewehr und den Colt, den ich am Gürtel trug.
„Du kannst reinkommen, aber die Waffen musst du am Tor abgeben!“. Das Messer im Stiefelschaft und die auf den Oberschenkel gebundene Pistole konnte sie natürlich nicht sehen. Ich traute niemanden mehr vollständig. Jeder Fehler konnte tödlich sein.
„Einverstanden!“
Wenig später öffnete sich knarrend das Tor. Ich ritt hindurch, argwöhnisch beäugt von einem halben Dutzend Frauen und 14, 15jährigen Jungs mit Waffen im Anschlag. Alle trugen Khaki-Hemden und schwarze Cargo-Hosen, eine Art Uniform. An ihren breiten Gürteln Revolverholster, ein Messer und weitere Gegenstände in einer Reihe kleiner Ausrüstungstaschen. Die Situation entspannte sich schlagartig, nachdem ich meine Waffen abgeliefert hatte.
Die Siedlung bestand aus einer ehemaligen Farm, die in der Mitte des umzäunten Geländes mit ihren Gebäuden das Terrain beherrschte. Ein Stück den Weg runter, auf dem ich hierher geritten war, standen noch vier weitere Häuser, je zwei links und rechts der Straße. Neben diesen Bauwerken aus der Zeit vor dem großen Sterben gab es unzählige weitere auf dem Gelände verstreute Behausungen. Diese waren aber mehr oder weniger notdürftig zusammengezimmert. Vor einigen Behausungen spielten kleine Kinder in der Sonne, vor anderen saßen Frauen, alle mit irgendwelchen Arbeiten beschäftigt. Zumeist ging es um das Verarbeiten und Konservieren von Feld- und Gartenfrüchten. Sie waren ausnahmslos unbewaffnet und zivil gekleidet.
Neben dem Farmhaus stand ein Rundzelt, einer mongolischen Jurte nicht unähnlich, vielleicht 7, 8 Meter im Durchmesser. Im Gegensatz zu den einfach hochgezogenen Unterkünften für die Masse der Bewohner war dies entweder ein besonderer Ort, ein Versammlungsraum oder eine Art Kirche vielleicht. Auch eine höher gestellte Person könnte hier wohnen.

Tauschgeschäfte

Ich wurde zum Haupthaus der Farm geführt, vor dessen Haupteingang links und rechts der Tür zwei weitere Frauen im obligaten Khaki und Schwarz Wache standen. Ein ganz schöner Aufwand, dachte ich und war nicht sicher um es sich dabei um Protzerei oder notwendige Vorsichtsmaßnahme handelt? Im Haus durchquerten wir die Eingangshalle und traten in ein großes, sehr repräsentatives Office. Eine Frau, etwa Mitte Fünfzig, brünette Hochsteckfrisur, von der Kleidung her ziemlich aufgedonnert, thronte hinter einem stattlichen Schreibtisch. Sie erhob sich, kam auf mich zu und gab mir die Hand. „Sue“, sagte sie, „willkommen in Cerespoly“. Zum ersten Mal erfuhr ich wie die Siedlung genannt wurde, hatte aber keine Zeit mich über diesen merkwürdigen Namen zu wundern. Sue nickte den Wachen unmerklich zu, und diese verließen den Raum.
Wenig später verhandelten wir. Es stellte sich bald heraus, dass sie in Cerespoly noch einiges mehr als nur Penicillin gebrauchen konnten und auch für mich hatten sie zur Kompensation manches nützliches Tauschgut.
Also eigentlich alles ganz nett, wenn mir da nicht inzwischen diese vollständige Abwesenheit von Männern und männlichen Jugendlichen immer schärfer bewusst geworden wäre. Ich hatte kein gutes Gefühl dabei ... Ich fragte danach. Sues Antwort kam schnell. Diese seien auf mehrtägigen Jagd- und Beutezügen und es wären ohnehin nicht so viele, denn eine ganze Reihe von Ihnen wären draußen den Donalds oder verbrecherischen Outlaws zum Opfer gefallen.
Ich fand das merkwürdig, denn es gab nicht einmal alte Männer oder die obligatorischen Weicheier unter den Männern, die als Spezialisten galten und die das Lager nie verließen. Nur Frauen, Jungen bis etwa 15 Jahre alt und einige Säuglinge hatte ich bisher gesehen. Bei einem Blick aus dem Fenster sah ich vor einem Nebengebäude der Farm einige Frauen mit Ketten von einem Knöchel zum anderen vor dem Haus in der Sonne sitzen. Wie die „Gefängnis-Chain-Gangs“ vergangener Tage, dachte ich noch, nur dass sie nicht untereinander verbunden sind.
„Was ist mit den Frauen?“. Fragend sah ich Sue an. „Schädlinge der Gemeinschaft im Strafvollzug“, war ihre eisige Antwort. Mir schauerte. Sie merkte, dass ihre Antwort wohl ein bisschen schnell und kalt daher gekommen war und beeilte sich nachzuschieben: „Ist nur auf Zeit. Wenn sie sich bewähren, werden sie wieder in die Gemeinschaft aufgenommen“. Das musste aber teilweise eine sehr lange Zeit dauern, wenn ich bedachte, in welch zerlumpten Zustand die Kleidung bei einigen von ihnen war. In dieser Siedlung gab es also Sue, unübersehbar die Führerin, und mindestens drei Gruppen, registrierte ich, die Oberschicht, also die Wächter, dann die normalen Bewohner, die ich für mich ‚Zivilisten‘ taufte und die Gefangenen.
Es wurde langsam Abend. Ich sah die Sonne schon tief im Westen stehen und ich wollte weiter. Sue lud mich zum Bleiben ein. Ich solle doch einfach ein paar Tage ihre Gastfreundschaft genießen, mich mal richtig ausschlafen, den Tieren Ruhe gönnen. Ich überlegte nur flüchtig, … ein paar Tage nicht auf Tour, das klang verlockend, vielleicht mal gründlich waschen, besser essen als sonst …?
Nein, das alles hier war mir unheimlich und ich bestand regelrecht darauf weiterzuziehen.
Ich stand auf, verließ das prächtig ausgestattete Haupthaus. In der immer noch flirrenden Sommerhitze ging ich zielstrebig auf das Tor zu, in dessen Schatten mein Pferd und das Maultier angebunden und getränkt worden waren. ‚Smith‘ mein treues Pferd, das mich schon seit zwei Jahren zuverlässig begleitete, spitzte die Ohren. Es erkannte mich schon von weitem an meiner Stimme. Immer noch versuchten zwei, mir von Sue mitgegebene Wächterinnen mich zum Bleiben zu überreden. Aber ich ließ mich auf nichts ein und verlangte nach meinen Waffen.
Und das, meine Freunde, war mein zweiter Fehler an diesem Tag ….

Die Jurte

Als ich das Tor erreichte und begann ‚Smith‘ loszubinden, traf mich ein Gewehrkolben am Hinterkopf. Dass ich gefällt wie ein Baum in den Staub krachte, merkte ich schon nicht mehr …
Als ich aufwachte, fasste ich instinktiv an meinen schmerzenden Hinterkopf, noch bevor ich die Augen öffnete. Nichts dramatisches, offenbar eine kleine blutverkrustete Platzwunde – tat einfach nur scheißweh. Ich öffnete die Augen. Ein großer fast leerer runder Raum. An den Wänden rundherum verkleidet mit Stoffen, edel wirkenden Tuchen. Das musste der Rundbau neben dem Haupthaus der Farm sein!
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass ich etwa 10 Stunden weggetreten war. Es war früher Morgen, 4.13 Uhr. Ich wollte aufstehen und nahm die Beine vom Bett, auf das man mich gelegt hatte. Es klirrte. Was war das? Erst jetzt bemerkte ich die Fußfessel an meinem rechten Bein. Diese war mit einer stabilen Kette an einem einbetonierten Eisenring befestigt. Die Stiefel hatten sie mir ausgezogen und dabei natürlich das Messer gefunden. Nach der versteckten Pistole musste ich nicht tasten, da der Druck des Gurtes fehlte. Die also auch! Das waren keine Anfänger! Ich konnte aufstehen, was ich auch tat, mich aber höchstens eineinhalb Meter in jede Richtung bewegen.
Ich hatte es gewusst! Hier war irgendwas ganz und gar nicht in Ordnung! Meine Instinkte täuschten mich selten. Ich hätte diesen gastlichen Ort unbedingt verlassen müssen, aber viel geschickter, als ich Depp das angefangen hatte. Ich hätte die ‚Gastfreundschaft‘ zum Schein annehmen sollen, um dann in Ruhe über meinen unauffälligen Abgang nachzudenken.
Gerade noch aus dem Augenwinkel bemerkte ich schräg hinter mir eine Bewegung. Ich drehte meinen Kopf, was neue Schmerzen auslöste und sah ich eine nicht sonderlich attraktive Frau, untersetzt und mittleren Alters, die mit stoischer Gelassenheit rechts neben dem Ausgang stand. Schwarze Hose, Khaki-Hemd, einen Colt in ihrem Holster, und das Bowiemesser in einem zweiten Futteral daneben ließen keinen Zweifel am Zweck ihres Hierseins offen. Sie bewachte mich! In ihrem Gesicht sah ich keinerlei Regung und gesprächig wirkte sie auch nicht. Sie war es wirklich nicht, reagierte auf keine meiner Fragen. Also versuchte ich mir selbst einen Überblick zu verschaffen, um zu verstehen was hier vor sich ging.
Die Jurte war fast leer, die Wände waren alle kunstvoll verziert, bestickt oder so, ich kannte mich da nicht so aus. An Mobiliar gab es nur dieses Bett, ein Doppelbett um genauer zu sein, mit vier stabilen Bettpfosten, die die Matratze in der Höhe noch etwa 50 cm überragten und an allen Seiten kunstvoll mit Schnitzereien verziert waren. Ich erkannte kleine Penisse, manche hängend, manche steil aufragend, Mösen in allen Größen und Formen und Brüste, … wo man hinschaute Brüste, runde, spitze, kleine, große Titten! Neben dem Bett stand rechts ein kleines Schränkchen und ein Paravent, links ein Sofa mit nur einer Lehne, einem Art Kopfteil. Chaiselongue nannte man so etwas, glaube ich. Bezogen war es mit blauem Samtstoff. Dem Bett gegenüber war so eine Art Altar aufgebaut. Auf ihm thronte eine Frauenstatue. Um wen es sich handelte, konnte ich nicht erkennen. Eine Gottheit? Wenn ja, welche? Links und rechts davon zwei Fackeln in großen Ständern. Die Fackeln waren aber nicht entzündet. Links und rechts der Frauenstatue lagen Obst und Ähren vom Feld auf dem Altar. An der Vorderseite zierte ihn ein Vorhang, ebenfalls aus blauem Samt, eingestickt ein kunstvoll verschnörkeltes großes „C“.
Links neben dem Eingang eine Tafel, eine Tafel wie man sie aus Schulklassen kannte. Auf der Tafel stand oben „Kara“, darunter in einer anderen Handschrift „Jill“, darunter in einer dritten Handschrift „Patricia“.
Was war hier los? Was für Gottesdienste wurden hier gefeiert? Wenn das hier ein kultischer Ort sein sollte, dann ein ziemlich schräger! Und was war meine Rolle dabei? Ich dachte angestrengt über Fluchtoptionen nach, ging einzelne Szenarien durch und verwarf sie ausnahmslos alle. Ich merkte schnell, dass ich derzeit keine hatte. Die Wächterin wollte nicht mit mir plaudern, ansonsten passierte auch nichts … ich versank in Lethargie.

******

Gegen 7.00 Uhr betrat eine weitere Frau die Jurte. Eine junge Frau, eine sehr hübsche Frau! Großgewachsen, schlank, vielleicht 10 Jahre jünger als ich. Hübsches Gesicht, aber nicht so hübsch, das es die Besitzerinnen normalerweise zu eingebildeten Gänsen werden lässt, schulterlanges glattes braunes Haar. Sie trug die für Wächterinnen obligatorische Cargo-Hose in Schwarz, Waffen- und Ausrüstungsgürtel, Khaki-Hemd, in den Händen ein Tablett. Das Hemd wölbte sich durchaus vielversprechend über ihrem Brustkorb. Alter – was ich alles beobachtete und dachte – und das in so einer Situation! Mir war nicht zu helfen!
Wortlos kam sie näher und reichte mir ein wirklich gutes Frühstück mit frischgebackenem Brot, frischen Tomaten aus dem Garten, sogar ein Ei war dabei. Ich überschüttete sie mit Fragen, aber sie ging einfach wieder hinaus, wortlos wie sie gekommen war. Gierig schlang ich alles runter.
Das hatte Folgen! Nicht lange darauf musste ich der Wächterin melden: „Ey, ich muss mal!“ Mürrisch schaute sie mich an. Dann kam sie langsam näher. Wenig später sollte mir klar sein, wofür der Paravent war. Sie nahm einen Eimer aus dem Schrank, stellte ihn ab, klappte den Paravent als Sichtschutz auf und machte eine ‚einladende‘ Handbewegung.
„Ich kacke doch nicht in diesen Eimer“. Nun hörte ich zum ersten Mal ihre Stimme. „Kack doch hin, wo du willst, Penner“. Damit ging sie auf ihren Posten zurück.
Wo saß ich natürlich ein paar Minuten später? Auf dem Eimer! Mit Genugtuung sah ich hinterher zu, wie sie angewidert den Eimer holte und vor die Jurte brachte. Draußen rief sie im Kommandoton „Scheiße abholen!“. Ich hörte Ketten klirren. Offenbar musste eine der Gefangenen meine Hinterlassenschaft entsorgen. Wertvoller Dünger für die Gemüsegärten vermutlich!
Ansonsten passierte nichts. Bohrende Langeweile überkam mich. Ich füllte die Zeit damit, die Fliegen zu beobachten die sich in das Zelt verirrt hatten und im Grunde meine Mitgefangenen waren. Außerdem begann ich erneut über Flucht nachzudenken und genauestens zu beobachten. Alle zwei Stunden wechselten die Wächterinnen, es waren tatsächlich immer Frauen, keine Männer, keine männlichen Jugendlichen! Vielleicht könnte man die Wächterin ja irgendwie austricksen und aus der Jurte entkommen. Aber dann? Wie sollte es weitergehen? Die Schutzmauer hatte nicht nur die zwei Wachtürme am Tor sondern noch mindestens drei weitere verteilt über die ganze Länge der Umfriedung, so viele hatte ich jedenfalls bisher gesehen. Eine unauffällige Flucht wäre wohl kaum möglich. Am Tage sowieso nicht, nachts eventuell mit ganz viel Glück. Aber was wäre dann? Ich stände vor der Mauer ohne meinen treuen ‚Smith‘, ohne meine Ausrüstung und Waffen – allein mit dem Colt und Bowie-Messer der Wächterin. Wie lange konnte ich damit da draußen allein überleben?
Mittags und abends kam wieder die Hübsche und brachte mir Essen. Verhungern sollte ich also nicht! Auch sie sprach nicht und verzog keine Miene, jedenfalls mittags. Abends lächelte sie mich flüchtig an. Daraufhin fickte ich sie aus lauter Langeweile den Rest des Abends in meinem Kopf in allen erdenklichen Stellungen durch, bevor ich in einen unruhigen Schlaf fiel.

*********

Am nächsten Tag brachte eine Andere Essen, halb so hübsch wie die vom ersten Tag. Ich lernte, dass die Essenholer tageweise wechselten. Mittags kam Sue: „Wollte nur mal schauen wie es unserem Gast geht“, murmelte sie. Ohne mich wirklich danach zu fragen, war sie wieder weg. Zurückblieb nur eine mächtige Parfümwolke. Mir kam der Besuch eher wie eine unauffällige Kontrolle der Wächterin vor.
Ich versuchte aus lauter Langeweile permanent mit den Wächterinnen ins Gespräch zu kommen, aber keine Variante zog, weder die sachliche, noch die charmant-betörende … und auch die obszöne Ansprache führte zu keiner Reaktion … Ja, auch die Ü18-Version hatte ich ein paarmal angewendet, aber nicht bei den hübschen! Auch wenn sie nicht reagierten, es hatte trotzdem Spaß gemacht. Das waren dann Sprüche wie „Ey, Nutte, komm mal her. Kannst mir einen blasen! Ich schenke dir ein bisschen Eiersaft, haste doch bestimmt schon lange nicht mehr bekommen. Hinterher darfst du ihn mit deinem Blasmaul sauberlecken, du kleines Flittchen!“ oder ähnlich kreative Monologe.
O.k., ….. eine kam tatsächlich! Aber anders als von mir vorgeschlagen. Sie ging zielstrebig an mir vorbei zum Schrank, holte eine Peitsche raus und schlug mich damit einmal voll auf den Brustkorb. So heftig, dass mir kurzzeitig hören und sehen verging. Aber was soll ich sagen? Das war es wert gewesen! Und daher sprach ich so oder ähnlich noch mehrfach zu denn mich bewachenden Kettenhündinnen.
Ach, - noch etwas geschah am zweiten Tag! Die hübsche, die mir am ersten Tag serviert hatte, kam herein, ging zur Tafel, strich den zweiten Namen „Jill“ aus und ein, zwei Stunden später kam eine andere, korpulent und darüber hinaus auch noch ungepflegt wirkende, Frau und schrieb an die vierte, nun eigentlich dritte, Stelle: „Meredith“. Was es mit dieser Liste auf sich hatte, sollte ich sehr bald erfahren. Auch, dass man fremden Damen nicht leichtfertig seinen Eiersaft anbietet, lernte ich alsbald.

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