Die Mädchen von St. Bernadette

Das Ende

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Die Mädchen von St. Bernadette

Die Mädchen von St. Bernadette

Jürgen Lill

Josh öffnete langsam die Augen. In seinem Kopf hämmerten schreckliche Schmerzen. Einen solchen Rausch hatte er seit seiner Jugend nicht mehr gehabt. Jetzt war er das Trinken einfach nicht mehr gewöhnt.

Es war schon fast Mittag. Zumindest wäre in der Schule die große Pause fast vorbei. Danach würde die Sportstunde für die 9b anfangen; seine Sportstunde. Aber er war nicht mehr Lehrer für Kunst und Sport im städtischen Gymnasium. Er war gar nichts mehr. Er hatte alles verloren, seinen Job, seine Wohnung, seine Freunde, seine Zukunft. „Warum?“ fragte er sich. „Warum ausgerechnet ich?“

Er war nicht eitel, aber er hielt sich fit, nicht nur durch den täglichen Sport in der Schule, sondern auch noch durch eine ganze Reihe anderer sportlicher Aktivitäten. Dann trug er auch die Haare länger, als die anderen Lehrer es taten. Und so war er in seiner Gesamterscheinung und in seiner freundlichen und frischen Art ein absolut jugendlicher Typ, auch wenn er sich heute uralt fühlte. Es war ihm nicht entgangen, dass viele Mädchen für ihn schwärmten. Und es war ihm auch nicht entgangen, dass ihn viele Schüler und einige Kollegen darum beneideten. Aber er hatte sich immer korrekt verhalten, hatte allen Verführungskünsten der Mädchen widerstanden, damit er nur ja keinen Ärger bekommen konnte. Aber mit dem Ärger, den ein Mädchen machen kann, das zurückgewiesen wird, hatte er nicht gerechnet. Erst eine Woche war es her, seit ihn die Polizei direkt aus dem Klassenzimmer geholt hatte. Er hätte angeblich Melanie aus der 8a vergewaltigt, warfen sie ihm vor. Aber er hatte Melanie nicht einmal angefasst. Eines Nachts war sie plötzlich vor seiner Tür gestanden, völlig aufgelöst, mit verheultem Gesicht und hatte ihn angefleht, bei ihm bleiben zu dürfen, weil sie nicht mehr nach Hause zu ihren Eltern konnte oder wollte. Lange hatte er mit ihr geredet und versucht, ihr klarzumachen, dass das nicht geht, auch nicht für eine Nacht. Melanie klammerte sich an ihm fest, presste ihren jungen Körper an seinen und flehte ihn unter Tränen an, sie nicht wieder heimzuschicken. Aber Josh machte sich mit sanfter Gewalt los, schickte sie ins Bad, damit sie sich die Tränen aus dem Gesicht waschen konnte und rief dann ihre Eltern an. Er tat das nicht gerne und hätte sich wirklich gewünscht, Melanie helfen zu können; ganz abgesehen davon, dass ihm auch nicht entgangen war, wie gut sich ihr jugendlicher Körper angefühlt hatte. Aber er hatte Prinzipien, beziehungsweise einen Selbsterhaltungstrieb, der ihm zu keinem Zeitpunkt gestattet hätte, sich mit einer Schülerin einzulassen. Am nächsten Tag war Melanie nicht in der Schule erschienen. Dafür kam dann aber in der dritten Stunde die Polizei. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Als Josh mit den Polizisten ging, wusste es schon die ganze Schule. Er, Josh, hatte Melanie vergewaltigt! Der Weg vom Klassenzimmer bis zum Streifenwagen war wie ein Spießrutenlauf. Schülerinnen, die ihn abgöttisch verehrt hatten, spuckten ihn an, Lehrer beschimpften ihn in übelster Weise und die Biologielehrerin, mit der er seit über einem Jahr gelegentlich romantische Abende und manchmal sogar Nächte verbracht hatte, gab ihm eine schallende Ohrfeige, ohne dass er auch nur ein einziges Wort zu seiner Verteidigung hätte sagen können. Auf der Polizeistation stürzte sich Melanies Vater blind vor Hass und Wut auf ihn, ungeachtet der Tatsache, dass Josh ihm körperlich eigentlich weit überlegen gewesen wäre. Aber der Angriff kam so plötzlich und überraschend, dass Josh überhaupt nicht wusste, wie ihm geschah, als ihn die Faust mitten ins Gesicht traf. Für einen Moment wurde es schwarz. Doch er blieb auf den Beinen. Als er seine Fäuste hob, nur um weitere Schläge abzuwehren, packten ihn mehrere Polizisten an den Armen, um den armen, unschuldigen Vater vor seinen Angriffen zu schützen. Und erst nachdem Melanies Vater dem jetzt völlig Wehrlosen noch mal in den Bauch geschlagen hatte, wurde er von Josh getrennt und man sprach beruhigend auf ihn ein, während niemand darauf achtete, wie Josh nach Luft rang und Blut aus seiner Nase lief.

Immer wieder erzählte er bei dem Verhör, was an dem Abend passiert war, als Melanie plötzlich vor seiner Tür stand, bzw. was eben nicht passiert war. Aber niemand schenkte ihm Glauben. Seine Kollegen und Schüler, die in den nächsten Tagen befragt wurden, waren sich irgendwie auch ziemlich einig, dass sie ihn schon immer im Verdacht gehabt hatten, dass er was mit den Mädchen machen würde. Aber zumindest konnte kein einziges Mädchen irgendetwas Konkretes in Bezug auf irgendeinen Übergriff seinerseits sagen. Und hätten die Polizisten genauer zugehört, wäre ihnen auch aufgefallen, wieviel Bedauern in vielen dieser Aussagen lag.

Josh wurde bis zur Verhandlung auf freien Fuß gesetzt, was ihn eigentlich sehr verwunderte. Als er sich aber wieder in der Schule meldete, wurde er vom Direktor ’bis auf Weiteres’ beurlaubt. Bis auf Weiteres: Das hieß wohl, bis seine Unschuld bewiesen war. Aber er war sich nicht sicher, ob er seine Unschuld beweisen konnte. Alles hing an Melanies Aussage. Josh versuchte, ihre Eltern anzurufen, um sie dazu zu bewegen, von Melanie zu verlangen, die Wahrheit zu sagen. Aber sie waren nicht bereit, ihn auch nur anzuhören. Josh erfuhr, dass Melanie von einem Arzt untersucht worden war, der festgestellt hatte, dass sie keine Jungfrau mehr war. Aber was bewies das denn? Gar nichts! Denn er kannte die Wahrheit. Und wie, wann und wo Melanie ihre Unschuld auch verloren haben mochte; Er, Josh, hatte nichts damit zu tun.

Josh saß zuhause und wartete auf den Tag der Verhandlung. Auf die Straße wollte er schon gar nicht mehr gehen. Schließlich waren alle Zeitungen voll mit Berichten und Fotos von dem ’Kinderschänder’. Der Anwalt, der ihm gestellt worden war, schien ebenso wie alle anderen von seiner Schuld überzeugt zu sein. Sein Vermieter hatte ihm fristlos gekündigt. Aber zumindest dem machte der Anwalt klar, dass eine Kündigung frühestens zum Quartalsende ausgesprochen werden konnte. Als es dann an diesem Nachmittag an seiner Tür klopfte, krampfte sich alles in ihm zusammen. Was immer dort vor der Tür war, konnte nur etwas Schlechtes für ihn bedeuten. Nur sehr zögernd entschloss er sich, zu öffnen. Er wollte ja auch nicht, dass wieder vor der Tür gebrüllt wurde: „Aufmachen! Polizei!“, wie es schon einmal vor zwei Tagen der Fall gewesen war, als ihm mitgeteilt worden war, dass Melanie laut Untersuchung keine Jungfrau mehr war. Das ganze Haus war daraufhin im Treppenhaus zusammengelaufen und Josh wäre es zu diesem Zeitpunkt wirklich lieber gewesen, die Polizisten hätten ihn mitgenommen und eingesperrt, als dass er weiter den Anfeindungen und dem Hass seiner Mitmenschen ausgesetzt blieb.

Als er diesmal öffnete, stand kein Polizeitrupp vor seiner Tür, auch nicht ihn verfluchende Nachbarn oder der bullige Metzger von um die Ecke, der ihn ganz offen mit einem riesigen Messer bedroht hatte, dann aber mit einem Veilchen kleinlaut abgezogen ist. Nein, da standen drei Mädchen aus der Parallelklasse, die er nicht einmal unterrichtete. Josh erkannte sie auf den ersten Blick. Zwar kannte er ihre Namen nicht, aber sie waren ihm in der Schule schon öfter aufgefallen und sie hatten sich gegenseitig auch immer gegrüßt, wenn sie sich begegneten. Josh wusste nicht viel von den Mädchen, außer dass sie fast immer zusammen waren und dass sie die besten sportlichen Leistungen der ganzen Schule erzielten, wie er beim letzten Sportfest gesehen hatte. Alle drei waren ausnehmend schön. Die eine war blond, die anderen beiden hatten schwarze Haare, eine davon war ein asiatischer Typ und die andere hatte er immer für eine Indianerin gehalten, was sie auch war, wie er später erfuhr. Was in diesem einen Augenblick, in diesem Sekundenbruchteil, als Josh die Tür öffnete und die drei Mädchen sah, alles durch seinen Kopf schoss, lässt sich kaum wiedergeben. Er erkannte die drei, registrierte – wieder einmal – ihre jugendliche Anmut und Schönheit, erinnerte sich daran, dass er nicht einmal ihre Namen wusste und wurde sich klar darüber, dass, wenn er sich überhaupt jemals mit einer Schülerin eingelassen hätte, es diese drei gewesen wären. Alle drei! Sie hatten nicht dieses kindische Gegacker, das er bei den anderen Schülerinnen immer als ziemlich nervtötend angesehen hatte. Und sie strahlten in seinen Augen irgendwie etwas sehr Würdevolles aus, das er nicht beschreiben konnte, das ihn aber schon immer fasziniert hatte. Und da wurde er sich plötzlich seiner Schuld bewusst. Er hätte sich mit jeder dieser drei Schülerinnen eingelassen, hätte dafür alles riskiert, was ihm jetzt geschah, obwohl er nichts getan hatte. Er erinnerte sich an Träume, von denen er bisher nichts gewusst hatte, weil sie niemals sein Aufwachen überdauert hatten. Träume von diesen drei Mädchen, von ihren schlanken jugendlichen Körpern, die er berührte und die ihn berührten, von den Gerüchen ihrer Haut, die er in Wahrheit gar nicht kannte. Aber in seinem Bewusstsein, in seinem normalen, geordneten Leben, das er bisher geführt hatte, hatte er solche Gedanken niemals zugelassen. Er hatte nur für den Sport und für die Kunst gelebt, und dafür, ein guter Lehrer zu sein, der zu seinen Schülern ein gutes, kameradschaftliches Verhältnis hatte, dem seine Schüler vertrauten, zu dem sie kamen, wenn sie jemand zum Reden brauchten, der ihnen half, wenn sie Mist gebaut hatten, usw. Sexuell hatte er sich damit zufrieden gegeben, wenn er alle paar Wochen mal eine Nacht mit der gutaussehenden, wenn auch ansonsten ziemlich eingebildeten Biologielehrerin verbrachte. Gedanken sexueller Natur an Schülerinnen, auch an diese drei, hätte und hatte er niemals zugelassen. Und jetzt standen sie plötzlich da, vor seiner Tür. Und obwohl dies alles in diesem einen kurzen Augenblick, als er die Tür öffnete, für ihn klar wurde, freute er sich in keiner Weise, sie zu sehen. Ganz im Gegenteil: Er glaubte auf der einen Seite, nur wieder neuen Beschimpfungen ausgesetzt zu sein und litt auf der anderen Seite plötzlich darunter, dass es genau diese Mädchen waren, die ihn beschimpfen würden. Josh öffnete die Tür nur einen schmalen Spalt. Er sagte kein Wort, grüßte nicht einmal, was normalerweise undenkbar für ihn gewesen wäre. Es war für ihn nur dieser Augenblick der Erkenntnis und die Erwartung des folgenden Angriffs. Der kam aber nicht. War es nur eine Sekunde oder war es länger? Ihm kam es wie eine Ewigkeit vor, dass die Mädchen ihn nur schweigend ansahen. Und er glaubte Mitleid, nein, Leid in ihren Augen zu sehen, das ihm beinahe Tränen in seine Augen getrieben hätte. Warum litten sie? Warum für ihn? Er konnte nicht verhindern, dass ihm doch Tränen in die Augen stiegen. Was war er doch für ein Weichei, er der harte Kerl, dem keiner in Leichtathletik, Boxen, Fechten und Bogenschießen gleichkam? Er verachtete sich für seine Schwäche. Warum litten sie? Er atmete tief durch und konnte so verhindern, dass seine Tränen flossen. Er wollte fragen, was sie hier wollten, aber ein Kloß steckte ihm im Hals und er brachte kein Wort heraus. Marijana, die Blonde, sagte schließlich: „Sie sehen echt scheiße aus, Barker.“ Das wusste er selbst. Aber er hatte nicht gewusst, wie angenehm, wie samtweich ihre Stimme klang. „Es tut uns leid, wenn wir sie stören, ...“ fuhr die Indianerin in einer noch weicheren Stimme fort, und Josh sah, dass auch sie Tränen in den Augen hatte, „aber wir wollten Ihnen sagen, dass wir an Sie glauben.“ „Wir wissen, dass Sie Melanie nichts angetan haben“ fuhr die Blonde jetzt wieder fort „und wenn es sonst niemand tut, dann werden wir das beweisen!“ Josh konnte nicht verhindern, dass seine Tränen jetzt doch über sein Gesicht liefen. Er war der Starke. Er war immer für alle da und half, wo er konnte. Und jetzt plötzlich, als alle Welt ihn aufgab und verurteilte, da setzte sich plötzlich jemand für ihn ein; jemand, den er bisher nicht beachtet hatte, um nicht schwach zu werden. „Vertrauen Sie uns!“ sagte die Asiatin, während sie zaghaft nach seiner Hand griff, und die Berührung seinen ganzen Körper durchflutete. Nur ein kurzer Druck, dann wendeten die Mädchen sich wieder ab und gingen. Josh stand wie gelähmt in seiner Tür und blickte den Dreien nach. Nach ein paar Schritten drehte sich die Indianerin noch einmal nach ihm um. Auch die anderen beiden blieben stehen und wendeten sich noch einmal zu Josh um. „Wir holen sie da raus!“ sagte die Indianerin noch mal und Josh konnte den Kloß, den auch sie im Hals hatte, selbst körperlich spüren. Den Mädchen fiel es schwer, Josh so zurückzulassen. Sie hatten diese Reaktion von ihm nicht erwartet, diese Menschlichkeit, diese Verletzlichkeit, all das, was sie jetzt in seinen Augen hatten sehen und erkennen können. Umso mehr war ihnen jetzt klar, dass sie ihr Versprechen ihm gegenüber einhalten mussten und auch würden! Sie sprachen lange Zeit kein Wort miteinander. Jede von ihnen hing ihren eigenen Gedanken nach, auch wenn es bei allen Dreien die gleichen waren. „Habt ihr das gesehen?“ fragte Marijana, als sie auf ihrer Lieblingsparkbank bei dem großen Brunnen saßen. „Er hat geweint.“ sagte die Indianerin und konnte nichts dagegen tun, dass ihr wieder dicke Tränen aus den Augen schossen. Lian, die Chinesin, nahm Victoria oder Shadowcat, wie ihre beiden Freundinnen sie oft nannten, in ihre Arme und ließ auch ihren Tränen freien Lauf. „Ihr seid unmöglich“, sagte Marijana, umarmte die beiden und weinte mit ihnen.
Die drei waren wirklich nicht so, wie andere Mädchen ihres Alters. Sie lebten alle drei schon seit frühester Kindheit miteinander im städtischen Waisenhaus. Als Marijana mit vier Jahren adoptiert werden sollte, schrie und tobte und weinte sie so lange, bis ihre Pflegeeltern sie wieder zurück ins Heim, und zurück zu Lian und Victoria brachten und von einer Adoption wieder Abstand nahmen. Marijana, Lian und Victoria hatten sich nur selbst. Sie waren sich seit sie denken konnten ihre einzige Familie. Die Heimleitung und wer immer dort im Laufe der Jahre für sie zuständig war, war ihnen niemals Familie. Ein paarmal hatte es Versuche gegeben, sie zu trennen. Aber je älter die Mädchen wurden, je mehr sie sich bewusst wurden, wie wichtig sie füreinander waren, weil sie sonst niemand auf dieser Welt hatten, umso mehr kämpften sie für ihre Gemeinschaft. Und irgendwann hatte es auch die Heimleitung eingesehen, dass die drei zusammengehörten und dass sie im wahrsten Sinne des Wortes sterben würden, wenn man sie trennte. Vielleicht lag es daran, dass sie im Waisenhaus lebten, dass sie sonst keine Freundinnen und Freunde hatten. Sie hatten auch nie nach einer Zugehörigkeit zu ihren Mitschülerinnen gesucht. Sie wussten, dass sie anders waren, nicht weil sie im Waisenhaus lebten, sondern weil ihr ganzes Denken und Fühlen einfach anders war. Sie hatten bei anderen Mädchen niemals, wirklich kein einziges mal, echte Freundschaften gesehen. Bei den geringsten Meinungsverschiedenheiten hatten sie Freundschaften zerbrechen sehen, die jahrelang gehalten hatten. Besonders jetzt, in ihrem Alter, wo Jungen anfingen, sich für die Mädchen zu interessieren und wo auch die Mädchen ihre nicht mal mehr ersten Erfahrungen sammelten, zerbrachen täglich Freundschaften und Beziehungen aus Eifersucht. Nichts war konstant in der Welt in der sie lebten, nur die Beziehung die sie verband. Und noch etwas: Ihr ausgeprägter Gerechtigkeitssinn. Und genau der hatte sich gemeldet, als sie erfuhren, was Josh Barker, dem Sportlehrer aus der Parallelklasse, der zu allen Schülern ein gutes Verhältnis hatte und der immer freundlich und hilfsbereit war, vorgeworfen wurde. Sie hatten sich nie Gedanken darüber gemacht, ob sie gute oder schlechte Menschenkenner waren. Eigentlich hatten sie sich angewöhnt, niemandem ganz zu vertrauen. Aber obwohl sie Barker nur vom Sehen und Hörensagen her kannten, waren sie sich einig, dass er niemals eine Schülerin vergewaltigt hätte. Da waren sie sich hundertprozentig sicher. Sie konnten überhaupt nicht verstehen, wie plötzlich alle Menschen aus seinem Umfeld, zu denen er immer ein gutes Verhältnis hatte, plötzlich, nur aufgrund einer nicht bewiesenen Anschuldigung, die keiner, der Barker auch nur ein wenig kannte, glauben konnte, sich plötzlich von ihm ab- und gegen ihn wandten.

„Also was machen wir?“, fragte Marijana schließlich, als sie sich wieder aus der Umarmung löste und ihre Tränen trocknete. „Wie bringen wir Melanie dazu, die Wahrheit zu sagen?“ „Wir könnten versuchen, so ganz im Vertrauen mit ihr zu reden und das Gespräch aufnehmen.“ meinte Shadowcat. Aber sie widersprach sich selbst gleich, als sie fortfuhr: „Aber dafür kennen wir sie zu wenig, beziehungsweise sie uns. Sie hätte keinen Grund, ausgerechnet uns anzuvertrauen, dass sie lügt.“ „Das stimmt!“, meinte Lian. „Und wir haben auch nicht genügend Zeit, erst eine Freundschaft zu ihr aufzubauen; Erstens, weil die Verhandlung schon in ein paar Tagen ist und zweitens, weil wir auch gar nicht mehr viel länger da sein werden. Wenn ich das Schreiben richtig verstanden habe, werden wir schon nächste Woche abgeholt und müssen nicht bis zum Ende des Schuljahres hier bleiben.“

Die Drei hatten sich vor einiger Zeit in St. Bernadette beworben, einer privaten Institution, die vor allem Kunst und Sport fördert und waren nach Durchsicht ihrer Zeugnisse und anscheinend vor allem auch aufgrund der Tatsache, dass sie Heimkinder ohne Anhang waren, angenommen worden. Jetzt hatten sie ein Schreiben bekommen, in dem ihnen angekündigt wurde, dass sie im Laufe der nächsten Woche schon abgeholt werden würden, also schon während des Schuljahres wechseln konnten. Sowohl mit der Schule, als auch mit der Heimleitung war dieser Wechsel schon geregelt worden, ohne dass sich die Mädchen selbst um etwas kümmern mussten.

Die drei freuten sich zwar sehr darauf, aus dieser Schule und ihrer Klasse, und vor allem auch, aus dem Heim rauszukommen und einen neuen Lebensabschnitt in eine neue, interessante Zukunft zu beginnen. Aber jetzt hatten sie hier noch eine Aufgabe. Und sie wussten alle drei: bevor sie die nicht gelöst hatten, würden sie nirgendwo hingehen.

„Roswitha!“, sagte plötzlich Shadowcat. „Roswitha?“ fragte Marijana. „Aber natürlich!“ meinte Lian. „Sie ist doch ständig mit Melanie zusammen.“ „Genau!“, erwiderte Shadowcat. „Ihr würde Melanie sicher sagen, was wirklich passiert ist. Wahrscheinlich hat sie das schon.“ „Genau!“, griff Marijana jetzt den Gedanken auf. „Roswitha ist das schwache Glied in der Kette. Sie wird uns helfen, ob sie will oder nicht.“

Voller Tatendrang sprang Marijana auf und auch Lian erhob sich. „Jetzt hör auf zum Heulen und komm endlich.“ sagte Marijana in einem Ton, der energisch klingen sollte, zu Shadowcat. „Ich heule doch gar nicht.“ antwortete Shadowcat und zwang sich zu einem Lächeln, während sie sich eine letzte Träne aus den Augen wischte.

 

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Jürgen Lill

Jürgen Lill ist ein Künstler mit Leib und Seele.
Begonnen hat er als Stuntman, bevor er Schauspielunterricht genommen und neben Filmauftritten, wie zum Beispiel als Elefantenreiter in "Asterix & Obelix gegen Caesar", vor allem auf Bühnen in Deutschland und Österreich Erfolge gefeiert hat. Von Karl May's ,Dr. Karl Sternau' und ,Old Shatterhand' über Alexandre Dumas' ,Aramis' bis hin zu ,Hercules' hat er immer wieder in Heldenrollen geglänzt. Doch das Spielen allein hat ihm nie genügt. Er wollte immer selbst etwas erschaffen und hat deshalb schon früh begonnen, zu schreiben und zu fotografieren.
So konnte er unter anderem schon einige Kurzfilme und ein Theaterstück selbst realisieren.

Neben dem Schreiben von Drehbüchern und Theaterstücken war er unter anderem als Bildjournalist und Pressefotograf tätig.
Mit "Das Geheimnis der Poseidon" liegt nunmehr der vierte Roman aus der Feder von Jürgen Lill vor.
Neben dem Kurzgeschichtenband "Lustvolle Lektüre über die Liebe", dessen Geschichten auch einzeln als Kindle-Ausgaben erhältlich sind,sind von Jürgen Lill bisher erschienen:
"Die Mädchen von St. Bernadette",
"Der Schneeengel",
"Die CF... Was für 'ne Party?"
"Das Geheimnis der Poseidon"

Jürgen Lill liebt das Schreiben und so können wir uns bald auf seinen nächsten Roman freuen.

 

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